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Interview

«Wir erleben aktuell einen neuen iPhone-Moment»

IBM-Schweiz-Chef Christian Keller ist begeistert von den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz. Am Digital Summit am 23. Mai in Vaduz spricht er über das Potenzial und die Risiken der neuen Technologie.

Herr Keller, Sie sprechen am Digital Summit zum Thema “The Future of Computing”. Welche technologischen Entwicklungen und Trends gibt es dabei besonders zu beachten?
Christian Keller: Wir haben einen Wendepunkt erreicht, was die technologische Entwicklung angeht. Verantwortlich dafür sind vor allem zwei Themen, die aktuell nochmals an Bedeutung gewonnen. Zum einen wird durch Quantencomputer die Rechenleistung eines Computers vervielfacht, sodass bisher unlösbare Probleme plötzlich gelöst werden können. Zum anderen bietet Künstliche Intelligenz ein schier unerschöpfliches Potenzial an neuen Möglichkeiten. Diese beiden Technologien werden unsere Gesellschaft und Unternehmenswelt signifikant prägen.

Künstliche Intelligenz ist gerade in aller Munde. Teilen Sie die allgemeine Euphorie?
Absolut. Wir erleben aktuell einen neuen iPhone-Moment. Wie damals mit den Apple-Smartphones ist die grundsätzliche Technologie nicht neu, aber Chat-GPT macht Künstliche Intelligenz für die breite Bevölkerung zugänglich und alltagstauglich. Wir stehen aber erst am Beginn dieser Reise und es braucht noch viel Entwicklung, damit KI im Unternehmensalltag breit eingesetzt wird. Wichtig ist, dass man die enormen Möglichkeiten von KI realistisch einschätzt, wenn sich der Hype wieder legt.

Wie meinen Sie das?
Unpräzise und erratische Antworten sind fatal für Unternehmen. Es ist von zentraler Bedeutung, dass KI-Systeme Fragen zuverlässig und korrekt beantworten. Ein Unternehmen muss sicherstellen, dass der Chatbot im Kundendienst dieselben Fragen stets gleich beantwortet und nicht unterschiedliche Antworten liefert. Dafür braucht es sogenannte Foundation Models. Diese Basismodelle werden mit grossen kuratierten Datenmengen trainiert und anschliessend mit unternehmensspezifischen Daten ergänzt, um eine Vielzahl nachgelagerter Aufgaben lösen zu können.

Wo sehen Sie das grösste Potenzial für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Die Anwendungsmöglichkeiten von KI sind über alle Branchen hinweg sehr gross. Bekannte Sprachmodelle wie Chat-GPT können vor allem Prozesse bei der Spracherkennung, Texterfassung und Programmierung unterstützen. Andere Modelle bieten ebenfalls zahlreiche Möglichkeiten, beispielsweise um Prozesse in der Produktion zu automatisieren oder Chatbots im Kundendienst zu trainieren. Auch beim Schutz vor Cyberangriffen unterstützt KI enorm. Von zentraler Bedeutung für den Einsatz solcher Modelle ist, dass sie mit grossen Datenmengen trainiert und kuratiert werden. Ich bin überzeugt, dass die Unternehmen ihre Prozesse durch den intelligenten Einsatz von Künstlicher Intelligenz automatisieren sowie effizienter und kostengünstiger gestalten können.

Die Euphorie teilen nicht alle. Kritische Stimmen warnen davor, dass KI ausser Kontrolle geraten könnte.
Die Gefahr ist durchaus real. Es braucht deshalb Regulierung – aber mit Augenmass. Wir müssen genau darauf achten, wo die Gefahren liegen und welche Massnahmen zielführend sind. Ich wehre mich vehement gegen generelle Technologieverbote. Sie helfen uns nicht, sondern verhindern den technologischen Fortschritt.

Was glauben Sie, woran dies liegt?
Jede neue Technologie kreiert zunächst einmal Unsicherheit bis sie besser verstanden wird. Und oftmals können Technologien sowohl zum Nutzen als auch zum Schaden der Gesellschaft eingesetzt werden. Wir stehen bei der Künstlichen Intelligenz noch ganz am Anfang und müssen daher für die Chancen aber auch für die Gefahren sensibilisieren. IBM war beispielsweise das erste grosse Technologieunternehmen, welches sich aus der sogenannten Gesichtserkennung zurückgezogen hat, da uns die Gefahren eines missbräuchlichen Einsatzes schlichtweg als zu gross erschienen. Andere grosse Techfirmen haben sich unserem Rückzug zwei Jahre später angeschlossen.

Eine sehr reale Sorge ist der massive Verlust von Arbeitsplätzen. Der globale IBM-CEO hat kürzlich davon gesprochen, dass intern Tausende Stellen wegfallen könnten. Wohin geht die Reise?
Der Einsatz neuer Technologien führt immer zu Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitsplätze fallen weg und Jobprofile verändern sich oder verschwinden. Das wird auch hier der Fall sein. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren gerade im Backoffice rund ein Drittel der Stellen wegfallen. In einzelnen Bereichen kann der Anteil sogar höher sein. Dies passiert nicht von heute auf morgen, sondern ist ein längerer Prozess. Es ist wichtig, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden frühzeitig einbinden und mitnehmen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich durch Weiterbildung auf neue Tätigkeiten und Anforderungsprofile vorzubereiten. Bei jeder technologischen Entwicklung entstehen nämlich auch neue Funktionen. Ich denke dabei besonders an die vielfältigen Berufsbilder im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie.

Ein ständig wachsendes Feld ist die Cyberkriminalität. Laut IBM-Studien ist Europa besonders stark von Angriffen im Cyberbereich betroffen. Wie gut ist die Schweiz vor Hackern geschützt?
Ein starker Wirtschaftsstandort wie die Schweiz und Liechtenstein ist natürlich ein attraktives Ziel für Cyberkriminelle. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Thema ganz oben auf die Prioritätenliste setzen. Andere Länder wie die USA, Israel und Deutschland haben die Gefahr früher erkannt als die Schweiz, aber wir haben stark aufgeholt, seitdem der Bund 2018 die erste Cyberstrategie formuliert hat. Nach meiner Ansicht befindet sich die Schweiz im internationalen Vergleich heute im vorderen Mittelfeld.

Wir haben eingangs schon über Quantencomputer gesprochen. Was ändert sich durch den Einsatz dieser neuen Computerprozessoren?
Quantencomputing kann komplexe Probleme lösen, welche die leistungsstärksten traditionellen Supercomputer weltweit nie werden lösen können. Die neuste Generation von Quantenprozessoren sind deutlich leistungsfähiger als bisherige Systeme. Das Besondere daran ist, dass die Rechenleistung nicht linear wächst, sondern exponentiell ansteigt. Wir haben in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gesehen. Unsere Ingenieure stellen in regelmässigen Abständen immer leistungsfähigere Quantenprozessoren bereit. Das stimmt uns zuversichtlich, dass wir schon bald erste kommerzielle Anwendungen sehen werden. Genaue Vorhersagen zu treffen, ist allerdings schwierig, da es noch viele Elemente zu verbessern gilt. Es freut mich besonders, dass die Schweiz hier führend dabei ist. Der neue Quantencomputer-Hub in Basel, bei dem IBM mit uptownBasel zusammenarbeitet, schafft Unternehmen und Forschungseinrichtungen Zugang zu Know-how und Technologien, den sie allein so kaum aufbauen könnten.

Sie sind davon überzeugt, dass Technologie eine grosse Rolle spielen kann in der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Warum?
Ohne Technologie werden wir unsere Nachhaltigkeitsziele gar nicht erreichen. Punkt. Zum einen liegt im Einsatz von Technologie ein unheimliches Potenzial für den effizienteren Umgang mit Energie. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Gerade bei der Datenhaltung stehen wir noch am Anfang. Kleine Serverräume, die wenig ausgelastet sind, verbrauchen verhältnismässig Unmengen an Energie. Grössere Rechenzentren mit hochgradig visualisierten Servern, bieten ein enormes Einsparpotenzial. Nachhaltigkeit hat aber auch generell sehr viel mit Daten sowie deren Auswertung und Umgang zu tun. Ein weiteres Beispiel: IBM und NASA erforschen gemeinsam mithilfe von KI die Auswirkungen des Klimawandels. Daten der Erdbeobachtung erlauben es, unseren Planeten zu untersuchen und zu überwachen. Daraus können Wissenschaftlicher neue Schlüsse ziehen, welche Ursachen für Naturkatastrophen oder Ernteausfälle verantwortlich sind.

Die technologischen Entwicklungen schreiten rasant voran. Was raten Sie besonders KMU, wie sie erkennen, welche Trends für ihr Unternehmen von besonderer Bedeutung sind?
Es gibt nicht einen oder den richtigen Zeitpunkt, um sich mit neuen Technologien zu befassen. Ich bin überzeugt, dass sich jedes Unternehmen mit neuen Themen beschäftigen muss. Dabei ist Wettbewerb ist die beste Rezeptur, um erfolgreich zu bleiben. Andernfalls droht man den Anschluss an den Markt zu verlieren. Das heisst für Führungskräfte, dass sie sich auf dem Laufenden halten müssen, sich regelmässig weiterbilden und generell offen für Neues sein sollten. Natürlich haben KMU nicht dieselben Ressourcen wie Grossfirmen, aber auch sie können sich mit Fachleuten austauschen und Kooperationen mit Fachhochschulen oder Universitäten starten, um praktische Anwendungen für neue Technologien im Betrieb zu identifizieren. Mein Tipp: Ganz pragmatisch mit einem konkreten Projekt starten.

Der Digital Summit am 23. Mai in Vaduz zeigt die Chancen und Risiken aktueller Entwicklungen wie Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und Metaverse. Referierende sind Liechtensteins Wirtschaftsministerin Sabine Monauni, Amtsleiter Martin Matt, IBM-Schweiz-Geschäftsführer Christian Keller, ETH-Professor Markus Gross und Markenexperte Dominique von Matt. Konkrete Erfolgsbeispiele zeigen Unternehmer Fritz Kaiser und Hilti-Innovationsmanager Nils Krönert. Ausserdem diskutieren Lothar Ritter und Stefan Metzger unter der Leitung von Moderatorin Sunnie Groeneveld über die Rolle von Organisationen wie digital-liechtenstein.li und digitalswitzerland. www.digitalsummit.li

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