
Technologie, KI-Expertise, Neurowissenschaft und Psychologie: Benjamin Bargetzi bewegt sich in zahlreichen Welten. Das macht ihn zu einem der gefragtesten Keynote-Speaker Europas. Am heutigen Freitag wird er beim Digitaltag in Vaduz zu Gast sein. Anlässlich des Digitaltags Vaduz sprach er mit Wirtschaft regional.
Interview: Tobias Soraperra, Wirtschaft regional
Herr Bargetzi, worüber werden Sie heute in Vaduz am Digitaltag sprechen?
Benjamin Bargetzi: Zum einen spreche ich über Technologie und wie diese den Menschen beeinflusst und darüber, welche Trends ich bei meinen Reisen im Ausland beobachten konnte. Ein grosses Thema ist auch das Unternehmertum, was diese von Start-ups lernen können, aber auch, wie man in der aktuellen Zeit der Technologie neu den ken muss, um Dinge richtig umzusetzen. Ich spreche aber auch darüber, wie wichtig die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine ist und wie Leute empathisch mit Gefühlen geführt werden können.
Sie beschäftigen sich seit acht Jahren mit dem Thema künstliche Intelligenz und deren Einfluss auf das menschliche Gehirn. Was sind Ihre Erkenntnisse in diesem Zusammenhang?
Hier gibt es drei Punkte zu beachten: Erstens nimmt die menschliche Aufmerksamkeitsspanne mehr und mehr ab. Dabei ist diese durch das Aufkommen der Smartphones unterhalb des Niveaus eines Goldfisches gesunken. Das heisst, was wir oft nutzen oder konsumieren, verändert unser Gehirn biologisch. Der zweite Faktor betrifft das kritische Denken. Eine Studie des MIT in Boston zeigt, dass sich das Denkvermögen von Leuten, die häufig Chat GPT benutzen, sich im Vergleich zu Personen, die es weniger oder gar nicht gebrauchen, verschlechtert.
Und der dritte Punkt?
Dieser betrifft die Dopaminforschung. Dopamin ist ein Hormon, das bei positiven Erlebnissen und Gefühlen ausgeschüttet wird. Dies kann beispielsweise beim Essen oder auch bei Aktivitäten mit Freunden sein. Aber auch die Benutzung von Handys kann einen Dopaminausschuss auslösen. Wer sich aber immer öfter auf diesem Weg seine Kicks holt, um sich gut zu fühlen, läuft Gefahr, in eine technologische Abhängigkeit zu geraten.
Wie macht sich diese Abhängigkeit bemerkbar?
Man gerät plötzlich in eine Art Automatismus und beginnt beispielsweise damit, nachts um 2 Uhr irgendwelche Instagram-reels anzuschauen. Man weiss dann gar nicht mehr, was man tut und ist in einer Art zombie-ähnlichem Zustand. Irgendwann fällt die gute Laune aber wieder zusammen. Das liegt am zusammenfallenden Dopaminspiegel.
Wie sehr verstärkt KI diese Effekte?
Die Leute werden rastloser, sie suchen immer mehr und schnellere Kicks. Zudem verstärken KI-Algorithmen wie jene von Instagram die Abhängigkeit von technologischen Geräten.
Auf welche Art beeinflusst KI allgemein die psychische Gesundheit sonst noch?
Die Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität wird immer schwieriger, was zu grosser Verunsicherung führt. Chatbots wie Chat GPT neigen ausserdem dazu, dem Nutzer oder der Benutzerin immer zuzustimmen. Dadurch kann Narzissmus gefördert werden. Das ist sehr toxisch und ungesund.
Wie können wir diesen Gefahren als Gesellschaft begegnen?
Ich zum Beispiel verfolge eine strikte Trennung zwischen Beruf und Privatleben und nutze am Wochenende das Handy überhaupt nicht. Ich schalte mein Mobiltelefon am Freitagabend ab und erst am Montagmorgen wieder ein. Das ist meine Art, einen Kompromiss einzugehen. Mein Motto lautet: Beruflich so viel wie möglich, privat so wenig wie nötig. Natürlich ist das keine dogmatische Regel und es gibt auch Ausnahmen. So nutze ich während privaten Reisen schon auch einmal Google Maps oder andere Tools.
Trotz aller Gefahren stehen Sie der Technologie und vor allem künstlicher Intelligenz grundsätzlich positiv gegenüber.
Ja, ich würde sagen, es ist eine grosse Chance, beispielsweise auch in humanitärer Hinsicht wie bei der Erkennung von Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer. Mithilfe eines Machine Learning Modells können so medizinische Daten analysiert werden, um festzustellen, wie genau die Erkrankungen ausgelöst werden und wie diese behandelt werden können. Ich glaube wirklich daran, dass KI letztlich ein Geschenk ist. Vorausgesetzt, sie wird richtig eingesetzt. In der Forschung und in der Arbeitswelt sollte die Gesellschaft definitiv auf KI setzen, im Privaten aber eine gesunde Distanz wahren.
Mit Blick auf die Arbeitswelt: Welche Aufgabe wird hier künftig überhaupt noch vom Menschen übernommen?
Die Verantwortung. Es muss jemand schlussendlich «Ja» oder «Nein» sagen. Wenn etwas schiefgeht, muss ein Mensch immer noch dafür haften. Zudem braucht es den menschlichen Anteil zwecks Authentizität weiterhin. Meine persönliche Ansicht ist, dass in Zukunft 80 Prozent der Arbeit von Maschinen gemacht werden, während die letzten 20 Prozent noch von menschlicher Hand ausgeführt werden. Ich glaube, es ist eine grosse Kunst zu sagen, ich nutze 80 Prozent KI für meine Arbeit, aber ich nehme mir selbst noch die Mühe, anschliessend letzte Anpassungen manuell zu machen.
Inwieweit gefährdet KI aus Ihrer Sicht Arbeitsplätze?
Selbst wenn alle Jobs durch KI ersetzt werden können, werden die Menschen neue Bedürfnisse entwickeln. Das bedeutet, es werden in der freien Marktwirtschaft wieder neue Start-ups und damit auch Jobs entstehen, um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. Ausserdem darf man nicht vergessen, dass KI nur bei ausreichender Datengrundlage funktioniert.