
Lukas von Arx ist seit dem 1. Juli Group CEO der Neutrik Gruppe. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik an der Fachhochschule Nordwestschweiz absolvierte er einen Master in Accounting and Finance an der Université de Fribourg (Schweiz) und promovierte anschliessend zum Dr. rer. pol. Nach beruflichen Stationen bei der Studer Kabel AG und Ernst & Young trat er in die Leon AG als Projektleiter ein, wobei längere Auslandseinsätze folgten. 2015 ging er nach Nordamerika und übernahm die Vertriebsverantwortung für Nordamerika im Segment Industrie und 2016 zusätzlich die Geschäftsführung des kanadischen Kabel- und Assembly-Produktionswerks von Leoni. 2021wechselte er zur BizLink Group, wo er als Geschäftsführer das nordamerikanische Geschäft der Business Unit Tailor-Made Products verantwortete. 2023 übernahm er die Leitung der gesamten Business Unit Tailor-Made Products. Seit Oktober 2025 ist Lukas von Arx Boardmitglied von digital-liechtenstein.li und vertritt dort die Interessen der Neutrik Gruppe.
Interview: Corina Vogt-Beck, Wirtschaft regional
Herr von Arx, Sie sind seit etwas mehr als hundert Tagen CEO der Neutrik Gruppe. Sie haben vorher nicht in Liechtenstein gearbeitet oder mit der hiesigen Industrie zu tun gehabt – wie sind Ihre ersten Eindrücke vom Unternehmen?
Lukas von Arx: Die ersten Eindrücke sind sehr gut. Wir sind ein stark innovatives Unternehmen mit ausgezeichneten Produkten, überdies sind wir hervorragend am Markt positioniert. Wir haben einen Brand mit einem starken Wiedererkennungswert, speziell auch in Nordamerika hat Neutrik einen riesigen Stellenwert.
Also hat die Neutrik einen guten Ruf?
Einen sehr guten Ruf! Auch haben wir ein ausgezeichnetes Team aus gut qualifizierten Mitarbeitenden. Wir arbeiten eng zusammen und versuchen, das Unternehmen vorwärts zu bringen. Als ich angefangen habe, habe ich die verschiedenen Abteilungen besucht, und auch an unserem Sommerfest haben mir die Mitarbeitenden über ihre Arbeit berichtet – damit aber nicht genug, sie haben mir zusätzlich erklärt, wie sie ihre Abteilung weiterbringen wollen!
Das tönt vielversprechend.
Das ist es. Ich habe in der Vergangenheit noch nie so stark erlebt, dass sich die Mitarbeitenden nicht nur überlegen, was sie aktuell machen sollen, sondern auch, wie sie ihre Abteilung in die Zukunft weiterentwickeln können.
Vor unserem Gespräch kam ein Mitarbeiter mit dem zweimilliardsten Stecker der Neutrik auf uns zu, um diesen auf den Bildern des Interviews zu präsentieren. Das zeigt, dass er mitgedacht hat und dass er stolz auf das Unternehmen ist.
Absolut. Dieser Stolz und die Freude zeigt sich auch darin, dass viele Mitarbeitende schon lange Jahre bei der Neutrik arbeiten.
Sie haben lange in Nordamerika gearbeitet. War Ihnen die Neutrik und deren Produkte ein Begriff?
Ja, ich hatte in meiner Karriere mit Neutrik einen Berührungspunkt, interessanterweise nicht im Bereich Pro AVL – dem Professional Audio Video Lighting –, also dem Entertainment-Markt, dem Kernmarkt des Unternehmens, aber im Medizinbereich, wo ein grosser Laboratory-Diagnostics-Hersteller in den USA ein gemeinsamer Kunde war. Neutrik ist ja nicht nur im Kernmarkt aktiv, sondern auch in angrenzenden Märkten, wie eben im Medizingeschäft. Die Produktstecker und die Interconnect-Systeme sind sehr ähnlich.
Hat diese Ausweitung auf neue Märkte auch damit zu tun, dass durch die Covidpandemie – und auch durch andere Gründe – die Unterhaltungsindustrie in eine Krise geraten ist?
Das stimmt zum Teil, wobei man betonen muss, dass der Kernmarkt und das Standbein der Neutrik mit zwischen 85 und 90 Prozent Anteil im Entertainment-Bereich sind. Covid hatte einen grossen Impact auf diesen Bereich: Wenn es plötzlich keine Shows, keine Konzerte oder andere Unterhaltungsprogramme mehr gibt, dann hat
das natürlich die Neutrik stark getroffen. Darum ist es eben auch wichtig, dass man sich breiter aufstellt, um solche Effekte abzufedern.
War Covid auch der Grund dafür, dass man 2023 am Standort Schaan 40 Mitarbeitende entlassen hat und «nicht automationsfähige Produktionsabläufe» bei der Tochtergesellschaft in Ungarn gebündelt hat?
Dazu kann ich nicht viel sagen, da es vor meiner Zeit war. Damals hatte die Neutrik den Fertigungsstandort auf Ungarn konzentriert und unter anderem den Standort im Vereinigten Königreich aufgelöst, so hat es damals vermutlich Sinn gemacht, ähnliche Fertigungsschritte auch von Liechtenstein nach Ungarn auszulagern.
Als Sie bei Neutrik das Ruder übernommen haben, war Ihr Vorgänger bereits über ein halbes Jahr nicht mehr im Unternehmen, interimistisch hatte Georg Wohlwend die CEO-Rolle übernommen. War das eine besonders grosse Herausforderung für Sie? Gab es Unsicherheiten?
In der jüngsten Vergangenheit gab es einige personelle Veränderungen, das ist natürlich eine Herausforderung für mich. Unser Chief Sales Officer Robbert Van Der Feltz ist interimistisch auf seinem Posten, und auch unser CFO Lukas Bischof hat sich schon vor einiger Zeit entschieden, sich neu zu orientieren. Im Moment verfolgen wir deshalb die Besetzungen für den CSO- und den CFO-Posten aktiv. Ich muss also ein neues Team zusammenstellen.
Das hat Vorteile und auch Nachteile, nehme ich an.
Das ist richtig. Grundsätzlich ist es natürlich so, dass Stabilität viele Dinge einfacher macht. Gleichzeitig ist es aber auch ein Vorteil, dass man die Chance hat, sein Team ein Stück weit neu zu besetzen.
Wie wurden Sie denn von den Mitarbeitenden aufgenommen? Waren diese erleichtert, oder mussten sie sich am Anfang erst noch ein bisschen kennenlernen und warm werden?
Ich glaube, ich wurde sehr positiv aufgenommen. Die Leute haben sich sehr gefreut, dass ein neuer CEO kommt, nach dieser langen interimistischen Zeit. So wie ich das sehe, haben die Mitarbeitenden begriffen, dass der Verwaltungsrat diesen Wechsel herbeiführen musste.
Dass es einen Neuanfang braucht?
Genau, und deshalb bin ich sehr positiv aufgenommen worden. Die Leute haben mir die Hoffnung entgegengebracht, dass es jetzt vorwärts geht. Ich sage ihnen, dass die Neutrik ein relativ grosser Konzern ist, eher ein Ozeandampfer als ein agiles Schnellboot. Um Veränderungen herbeizuführen, braucht deshalb ein bisschen Zeit.
… und man muss die Menschen mitnehmen, wie man so schön sagt.
Genau, das ist ganz wichtig. Es sind ja über 900 Mitarbeitende weltweit.
Sie sind Schweizer und haben viele Jahre in Nordamerika gearbeitet, hatten keinen Bezug zu Liechtenstein. Was war für Sie ausschlaggebend, in dieses kleine Land zu kommen?
Ich war viele Jahre lang international unterwegs, eine Zeitlang in Indien, dann in den USA, in Kanada, und zuletzt habe ich in Deutschland gelebt. Und ich habe nach einer beruflichen Veränderung gesucht. Als ich letztes Jahr 40 geworden bin, habe ich für mich beschlossen, dass ich etwas Neues machen will. Als ich mit der Neutrik
in Kontakt kam, fand ich das Unternehmen gleich faszinierend. Die Neutrik hat mit ihren Steckern die Unterhaltungsindustrie umgekrempelt und die gängigen Standards für alle anderen Komponenten gesetzt. Ich finde das total faszinierend.
Das heisst, die Neutrik-Stecker sind so innovativ, dass andere Unternehmen ihre Bauteile danach richten?
Genau so ist das. Neutrik hat mit den Steckern die Standards gesetzt für die Schnittstellen. Die Marktbegleiter mussten sich danach ausrichten.
Heisst das, die Neutrik hat im fachlichen Umfeld und auch bei den Endverbrauchern einen so guten Namen, dass man sagt: «Ich möchte ein Gerät mit einem
Neutrik-Stecker haben»?
Das ist absolut so. Neutrik ist ja im Premium-Bereich positioniert. Das bedeutet, dass viele Hersteller von Premium-Geräten Neutrik-Produkte verarbeitet haben wollen. Neutrik-Stecker helfen dabei, das Produkt, sei es ein Mischgerät oder eine Stage-Lampe, zum Premium zu machen.
Der Ruf der Neutrik ist auch im Land positiv konnotiert, denke ich. Allerdings wissen wohl viele Menschen nicht genau, was die Neutrik herstellt. Ist das auch Ihr Eindruck?
Ich glaube, dass es darauf ankommt, welches Umfeld man hat. Wenn man in der Musikszene zu Hause ist, also wenn man E-Gitarre spielt oder mit einem Mixgerät arbeitet, dann ist Neutrik ein absoluter Begriff. Auch im Konzertbereich ist Neutrik ein riesiger Name – in der Energieversorgung der Bühne und des LED-Bildschirms, im
Lautsprechersystem, im Stage-Licht, überall dort sind unsere Produkte drin.
Das bedeutet, wenn ich zum Beispiel die Mitglieder von Coldplay fragen würde, würden sie sagen: Klar, Neutrik kenne ich?
Ja, ich könnte mir vorstellen, dass sie Neutrik kennen würden – vor allem aber auch die guten Gitarrenspieler.
Was sind Ihre Ziele bei Neutrik? Was wollen Sie erreichen?
Es ist mir wichtig, auf den guten Produkten, den guten Namen aufzubauen. Unser Kern wird immer der Entertainment-Bereich sein, gleichzeitig müssen wir aber auch unsere Flügel ausbreiten und uns in andere Märkte diversifizieren. Unsere Produkte sind robust und haben viele Steckzyklen. Das sind Eigenschaften, die in angrenzenden Märkten ebenfalls gefragt sind, zum Beispiel im Medizinbereich. Wir haben diese angrenzenden Märkte allerdings nie zentral vorangetrieben, der Entertainment-Markt stand immer im Fokus, und das ist auch richtig so.
Sie sagten, dass Neutrik ein grosser Dampfer sei, aber trotzdem muss er sehr agil sein. Setzen Sie stärker auf Beständigkeit oder möchten Sie grosse Veränderungen vornehmen? Wollen Sie die Neutrik auf einen neuen Kurs bringen?
Die Kunst ist es, den Mittelweg zu finden. Wir haben eine kritische Grösse erreicht, bei der man aufpassen muss, dass man nicht zu statisch wird. Agilität und Flexibilität haben uns schon immer ausgemacht: zu erkennen, wie sich der Markt entwickelt, was neue Trends sind, wo es Innovationen gibt, und darauf relativ schnell zu reagieren und eine Antwort zu finden. Gleichzeitig muss man, wenn man eine gewisse Grösse hat, gewisse Prozesse stabilisieren und standardisieren. Die Kunst ist es, dies zu koordinieren.
Auch müssen Sie in Ihrer Branche ein Vorreiter sein, was Digitalisierung anbelangt, um nicht abgehängt zu werden.
Absolut, die Digitalisierung schreitet natürlich auch im Entertainment-Bereich fort. Und die Digitalisierung hat ja immer verschiedene Facetten: Produkte, die digitalen Mehrwert bieten, digitale Informationen, oder digitalisierte Fertigungsprozesse. Wir arbeiten an allen diesen Feldern. Auch ist es so, dass es neue Standards gibt, welche die alten Stecker, die teilweise noch analog sind, ersetzen werden. Hier sind wir mit digitalen Lösungen am Start.
Auch in der Fertigung wird vieles digitalisiert und automatisiert. Führt dies zu einer Konsolidierung der Arbeitsabläufe und in der Folge einem Abbau von Arbeitsplätzen?
Das denke ich nicht. Insbesondere am Standort in Liechtenstein hat sich der Verwaltungsrat schon lange zur vollautomatisierten Produktion bekannt und baut den Standort dementsprechend aus mit dem Neubau und neuen Maschinen. Im vollautomatisierten Bereich wird das nicht zu einer Reduktion von Mitarbeitenden führen, sondern eher zu einem Ausbau von Fachleuten.
Nächstes Jahr wird der Neubau eröffnet. Dieser wird also zu mehr automatisierten Abläufen und zu einer Professionalisierung führen?
Ja, das ist so. Überdies wird der Materialfluss effizienter, da unsere Maschinen im Moment in zwei verschiedenen Gebäuden verteilt sind. So führt der Neubau auch zu einer Prozesseffizienz.
Viele sprechen von einer multiplen Krise im politischen und wirtschaftlichen Bereich im Moment. Sie investieren in den Standort Liechtenstein. Sind Sie gar nicht von der Krise betroffen?
Natürlich müssen wir auf die aktuellen Herausforderungen reagieren. So müssen wir einen Teil unserer Belegschaft in Kurzarbeit schicken. Wir machen dies, weil wir davon ausgehen, dass die aktuelle Situation temporär ist und nicht permanent. Wir sorgen für die bestmögliche Lösung für unsere Mitarbeitenden, so zahlen wir ihnen die
Differenz der Kurzarbeitentschädigung und des Lohnes aus. Niemand soll finanzielle Einbussen haben.
Was sind die Gründe dafür?
Verschiedene Effekte haben dazu geführt. Einerseits haben wir in Erwartung der US-Zölle unsere Lager relativ stark aufgebaut, insbesondere in Nordamerika. Zum Glück sind die Zölle nicht so hoch wie befürchtet, allerdings haben wir jetzt relativ hohe Lagerbestände, die abgebaut werden müssen. Überdies haben wir, insbesondere in Europa, im Moment eine Nachfrageschwäche. Ganz anders sieht es in Asien aus, dort läuft es extrem gut. Wir haben positive Signale für das kommende Jahr, deshalb
ist Kurzarbeit das richtige Instrument, um diese kurze Zeit zu überbrücken.