
Mit über 28 Jahren Erfahrung bei der LGT Gruppe, davon 24 Jahre als CEO von LGT Financial Services, hat André Lagger die Digitalisierung der LGT stark geprägt. Ab Mai 2025 tritt er in den Ruhestand, bleibt jedoch der LGT weiterhin eng verbunden, indem er künftig Verwaltungsratsmandate in verschiedenen LGT-Gesellschaften übernimmt. Neben seiner Tätigkeit für die LGT ist André Lagger auch Gründungsmitglied und Boardmitglied von digital-liechtenstein.li. Im Interview blickt André Lagger auf die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte zurück – sowohl im Hinblick auf die digitale Transformation bei der LGT als auch im Bereich der Digitalisierung des Wirtschaftsstandortes Liechtenstein, zu deren Vorantreiben er aktiv beigetragen hat.
André, du bist seit 2001 CEO der LGT Financial Services AG. Wie hast du die Anfänge der Digitalisierung in der Finanzbranche damals erlebt? Welche Hürden mussten überwunden werden, und gibt es ein Ereignis, das dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
Nach dem Verkauf von GT im Jahr 1998 verfügte die LGT als bedeutenden Standort nur noch über die LGT Bank in Liechtenstein. Im Jahr 2001 verabschiedeten wir eine Internationalisierungsstrategie mit dem Ziel, durch Neugründung mehrerer Banken und Standorte im Ausland zu wachsen. Kern dieses Vorhabens bildete eine neu definierte IT-Strategie, welche allen zukünftigen Auslandseinheiten eine gemeinsame Informatiklösung auf einer zentralen Serviceplattform zur Verfügung stellt. Hiermit wurde auch das Geschäftsmodell der LGT neu ausgerichtet. Kundenorientierte Funktionen werden vor Ort und verarbeitungsorientierte Aufgaben zentralisiert in Liechtenstein erbracht. Dieses Modell erlaubt die konsequente Ausnutzung von Synergien sowie die Vermeidung unnötiger Komplexität. Dieser revolutionäre und zukunftsorientierte Ansatz sowie dessen Umsetzung waren entsprechend anspruchsvoll. Auch heute nach fast 25 Jahren hat dieses Geschäftsmodell, allerdings betrieben auf neuen Technologien, noch Gültigkeit.
Was erachtest du bei der Umsetzung der digitalen Transformation als besonders wichtig? Was war die wichtigste Lektion, die du in den vergangenen Jahren gelernt hast?
Digitalisierung liegt nicht in der alleinigen Verantwortung der Informatik, Treiber der Veränderung muss das Business sein. Es muss auf allen Ebenen bis hinauf zum Verwaltungsrat das notwendige Verständnis und die Bereitschaft zu investieren, vorhanden sein. Technologie ist zwar ein zentrales Element von Veränderungen geworden, aber die Beschränkung hierauf greift zu kurz. Es geht bei der digitalen Transformation um neue Geschäftsprozesse und deren Implikationen auf Kunden, Mitarbeiter sowie der Bereitstellung notwendiger Ressourcen und Fähigkeiten.
Die Erwartungshaltung bezüglich Mehrwertgenerierung neuer Technologien ist oftmals eine unrealistische. Dies hat auch damit zu tun, dass Digitalisierung und digitale Transformation keine Synonyme sind; dieser Unterschied muss Entscheidungsträgern vermittelt werden. Vieles was wir im Alltag bewerkstelligen und was auch wichtig bleibt, ist Digitalisierung, das heisst Prozessautomatisierung oder Vollzug eines Technologiewechsels. Digitale Transformationsprozesse sind seltener, viel radikaler mit tiefgreifenden Veränderungen und mit ungleich grösseren Auswirkungen auf wesentliche Teile der Gesamtorganisation. Sie bieten deshalb auch viel grössere Chancen- aber auch Risikopotenziale im Falle eines Nichtgelingens.
Die LGT sieht in der Digitalisierung eine grosse Chance für mehr Wettbewerbsfähigkeit. Gibt es ein Projekt, das du als Meilenstein hervorheben würdest? Was hat dieses Projekt besonders erfolgreich gemacht?
Innert 4 Monaten nach Vertragsabschluss, erfolgte Ende April 2017 in derselben Nacht die Datenmigration der drei von der ABN Amro übernommenen Private-Banking-Geschäfte in Singapur, Hongkong und Dubai auf die LGT-Plattformen. Per diesem Zeitpunkt hatten wir 20 Mrd. US Dollar an Vermögenswerten und somit alle Kunden migriert als auch alle weiteren Integrationsarbeiten abgeschlossen.
In sehr kurzer Zeit erbrachten unzählige Fachbereiche eine fantastische Leistung. Eine derartige Integration ist höchst komplex; sie war global, in unterschiedlichen Zeitzonen, mit vielen regulatorischen und rechtlichen Abklärungen, Bereitstellung von applikatorischen Erweiterungen, organisatorischen Eingliederungen, Schulungen und vieles mehr. Stringentes Projektmanagement, breite fachliche Expertise und kurze Entscheidungswege waren die Erfolgsfaktoren. Mit dieser Akquisition erzielten wir beträchtliche Synergiegewinne, verstärkten unsere Position in diesen attraktiven Wachstumsmärkten und schufen die Grundlage für weiteres profitables Wachstum.
Die Bedürfnisse der Kunden haben sich durch die Digitalisierung stark gewandelt. Wie hat die LGT auf diese Veränderungen reagiert?
Das erhöhte Tempo sich stetig verändernder Anforderungen verlangt nach neuen Arbeitsweisen. Deshalb haben wir unsere IT-Organisation auf agil umgestellt. Sie stellt die Bedürfnisse des internen und / oder externen Kunden in den Vordergrund. Dedizierte Produkteteams, welche mit allen notwendigen Fähigkeiten ausgestattet sind, sollen neue Dienstleistungen schneller einführen und fortlaufend weiterentwickeln. Hierdurch soll die Interkation mit unseren Kunden durch kontinuierliche Innovationen fortlaufend verbessert werden.
Digitalisierung wird oft mit Technologie und Effizienzsteigerung verbunden, doch sie verändert auch die Unternehmenskultur und die Art, wie Menschen arbeiten. Wie hat sich deiner Meinung nach das Zusammenspiel zwischen Menschen und Technologie in der Finanzbranche entwickelt? Und welche Kompetenzen werden in Zukunft besonders gefragt sein?
Bankmitarbeiter müssen heute eine hohe IT-Affinität aufweisen. Die Schnelllebigkeit der Veränderungen reflektiert sich auch in unseren IT-Applikationen, welche regelmässig und in kurzen Intervallen Neuerungen beinhalten. Allerdings gilt es den Bankmitarbeiter nicht zu überfordern. Bedarfsgerechte Schulungen sowie die Bereitstellung fachbezogener und technischer Support-Modelle sind Hilfestellungen hierzu. Bereits bei der Erstellung neuer IT-Applikationen berücksichtigen wir die User-Experience des Bankmitarbeiters. Im Betrieb erkennen wir mittels Umfragen und Auswertungen, ob und wie IT-Applikation genutzt werden. Somit erzielen wir die bestmögliche Unterstützung des Mitarbeiters bei der Verrichtung seiner Tätigkeiten.
Sobald die Technologien ausgereift sind, wird künstliche Intelligenz den Arbeitsalltag massiv beeinflussen. Intelligente Technologien werden helfen, Daten zu analysieren, zu interpretieren und zu verarbeiten. Sie bringen grosses Potenzial für Prozessautomatisierungen. Zusätzlich werden die neuen Technologien den Mitarbeiter von Routineaufgaben befreien, ihn in der täglichen Arbeit unterstützen und ermöglichen schnellere als auch bessere Entscheidungen.
Die LGT war oft ihrer Zeit voraus, wenn es um neue Technologien ging. Was war deiner Meinung nach das Schlüsselrezept für diesen Vorsprung? Wie habt ihr es geschafft, neue Entwicklungen und Technologien frühzeitig zu erkennen und erfolgreich umzusetzen?
Die Fürstenfamilie hat Banking immer auch als technologiegetrieben erachtet. Sie hat uns deshalb zu kontinuierlichen Investitionen in unsere IT-Infrastruktur angehalten, unabhängig vom aktuellen Konjunkturzyklus. So konnten wir regelmässig und global unsere IT-Systeme erneuern und weiterentwickeln. Wir sind jedoch nicht auf jeden Hype sofort aufgesprungen. Dedizierte Experten haben mit Bedacht neue Technologien auf deren Marktreife geprüft, den Nutzen für die LGT beurteilt und im positiven Falle deren Einführung empfohlen. Und bei der Implementation steht uns die ausgewiesene Expertise unserer Informatik- als auch Fachmitarbeiter zur Verfügung.
Du bist Gründungs- und Boardmitglied von der Standortinitiative digital-liechtenstein.li. Seit der Gründung von digital-liechtenstein.li im Jahr 2017 hat sich der Digitalisierungsgrad in Liechtenstein stark beschleunigt. Welche Rolle spielt die Initiative für das Land und die LGT? Wo siehst du die Stärken der Standortinitiative?
Um ehrlich zu sein, LGT hat nicht auf diese Initiative gewartet. Die Digitalisierung genoss bei uns immer eine hohe Priorität und wir sind diesbezüglich vielseitig vernetzt.
Man sollte allerdings nicht nur seinem Eigeninteresse folgen, sondern auch einen Beitrag für die Gemeinschaft leisten. Spannend bei digital-liechtenstein.li fand ich die Idee, die unterschiedlichen Akteure und Sichtweisen am Werkplatz zu vernetzen, um gemeinsame Vorstellungen zu entwickeln, an welchen gearbeitet werden muss. Da gehört folglich auch dazu, dass LGT als einer der ersten Partner diese Idee nicht nur finanziell, sondern auch inhaltlich unterstützt.
Die Initiative verkörpert die Stärke von Liechtenstein, Lieferung von konkreten Vorstellungen in kurzer Zeit. Dazu gehört die hervorragende Orchestrierung der Initiative, Vereinigung von vielen Kompetenzträgern an einen Tisch, kurze Entscheidungsfindungen und Erarbeitung umsetzbarer Initiativen. Und die Initiative ist keine Eintagsfliege. Gegründet im Jahr 2017, ist sie weiterhin lebendig und mit neuen Inhalten gefüllt.
Liechtenstein möchte sich international als digitaler Vorreiter etablieren. Wo siehst du die grössten Chancen und wo noch Verbesserungspotenzial? Welche Schritte wären deiner Meinung nach notwendig, um diese Vision zu verwirklichen?
Ich kann nur für die Finanzindustrie sprechen. Einige der Liechtensteinischen Banken sind international bestens etabliert und auf Augenhöhe mit der Konkurrenz. Wir sollten uns nicht kleiner machen als wir sind, im Gegenteil. Es gibt wenig Länder wie Liechtenstein, welche über eine derart gute Ausgangslage verfügen. Meine grösste Sorge ist die genügende Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Liechtenstein steht im Wettbewerb mit anderen Ländern. Eminent wichtig bleibt die Förderung eigener Talente in unseren Firmen und Ausbildungsinstitutionen. Aufgrund der Kleinheit das Landes sowie der Schnelllebigkeit in unserem Geschäft sind wir jedoch darauf angewiesen, dass genügend ausländische Fachkräfte ihr Know-How auch zukünftig bei uns einbringen können. Hierzu muss man als Arbeitgeber attraktiv sein, aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend sorgfältig ausgestalten.
Welche Botschaft möchtest du jungen Führungskräften und künftigen Generationen mit auf den Weg geben? Gibt es einen Rat, der dir selbst besonders geholfen hat?
Wir werden nicht als Leader geboren, niemand ist perfekt, denn Führung ist ein steter Lernprozess. Seien sie kein Sachverwalter, sondern ein Gestalter. Nutzen sie die unterschiedlichen Fähigkeiten ihres Teams, um die Zukunft zu gestalten und verstehen sie sich nicht als der alleinige Fachexperte. Schaffen sie hierzu ein Arbeitsklima, in welchem sich jeder Einzelne in ihrem Team bestmöglich entfalten kann.
So wie du behandelt werden möchtest, solltest du auch mit deinen Mitarbeitern umgehen.
Du gehst im Mai in den Ruhestand. Welche Pläne und Projekte hast du für deine persönliche Zukunft? Wirst du der Digitalisierung weiterhin verbunden bleiben?
Ich fühle mich noch immer jung und vital. Nun verfüge ich über die Zeit, Neues zu entdecken und Dinge zu tun, die mir Spass machen und die ich selbst bestimmen kann. Ich freue mich auf mehr Zeit mit meiner Frau und meinem sozialen Umfeld zu verbringen. Dazu gehören viele Reisen, Begegnungen sowie sportliche Aktivitäten. Zur Aufrechterhaltung meiner geistigen Fitness gehören sicher auch meine VR-Mandate bei der LGT. Diese übe ich bei Gesellschaften mit einem engen Bezug zur IT aus. Somit wird mich die Digitalisierung weiterhin begleiten.
Vielen Dank für das Gespräch!