Christian Keller ist General Manager Central Europe bei Amazon Web Services (AWS). Am Digital Summit spricht er über die Bedeutung der KI-Revolution und wie sie alle Lebensbereiche durchdringen wird.
Interview: Corina Vogt-Beck, Wirtschaft regional
Künstliche Intelligenz ist «nur» eine Technologie, allerdings eine grosse, entscheidende. Macht uns KI in jedem Fall besser und schneller?
Die Technologie wird helfen, vieles einfacher zu machen. Man muss dabei den Kontext sehen. Bei den Anwendungsfällen ist das Kundenerlebnis zentral. Diesbezüglich steigen die Anforderungen an ein Unternehmen ständig. Heute kann man direkt mit einem Endkunden in Verbindung treten und sofort Mehrwert leisten. Das Kundenerlebnis vor 20 oder vor 50 Jahren war ein ganz anderes. Wer hätte gedacht, was wir alles einmal online machen? In Zukunft wird dies noch zunehmen. Ein anderer Punkt ist die Produktion: Firmen können ihre Lieferketten automatisieren. Es gibt viele verschiedene Anwendungsgebiete, bei denen die Technologiedurchdringung zunehmen wird, und bei denen KI tatsächlich helfen kann.
Das heisst im Umkehrschluss, dass die Unternehmen schneller werden müssen, um mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten.
Genau. Wir haben eine KI-Studie dazu in Auftrag gegeben. 2023 haben 30 Prozent der Schweizer Unternehmen KI eingeführt, 2022 waren es 22 Prozent. Das entspricht einer Wachstumsrate von 36 Prozent. Man sieht ganz klar, dass die Geschwindigkeit zunimmt und Unternehmen sich darauf einstellen müssen. Dazu kommt: Als Endbenutzer hat man sowieso Kontakt mit diesen Technologien. Bei Amazon Web Services sagen wir, dass wir nach den Cloud-Computing-Diensten nun auch den Zugang zum Aufbau und zur Nutzung von KI demokratisieren wollen. Das heisst auch, dass man bei uns online ein Konto eröffnen kann und man hat dann dieselben Möglichkeiten wie eine Bank, wie eine Behörde, weil man auf dieselbe Technologie zugreifen kann. Dieser Aspekt war bereits mit Cloud-Computing sehr spannend, aber jetzt mit KI beschleunigt sich dies. Das ist auch eine grosse Chance für viele Start-ups, weil sie oftmals schneller sind als die grossen Organisationen und Unternehmen. KI ist der nächste Innovationsschub.
Worauf müssen wir uns in den kommenden Jahren einstellen? Was ist das nächste «grosse Ding» in diesem Bereich?
Die technischen Innovationen werden zunehmen und künstliche Intelligenz wird überall Einzug halten: in der Fertigung, in der Lieferkette, im Kundenkontakt, in der Entwicklung. Ich denke, dass der Benutzer auf diese Helfer und Assistenten nicht verzichten will, das bedeutet, die Durchdringung wird weitergehen. Diesbezüglich wird es ganz neue Business-Modelle geben. Firmen werden sich überlegen, wie sie sich transformieren können durch die gesammelten Daten. Kann ich die Daten monetarisieren? Ideen gab es schon länger, aber jetzt, da die KI-Tools erschwinglich sind und die technischen Hürden nicht mehr so hoch sind, ist es nicht mehr so schwierig, einen zusätzlichen Vertriebskanal zu eröffnen.
Sie sprechen davon, Daten arbeiten zu lassen und Prozesse zu automatisieren – wird dies auch Auswirkungen auf Arbeitnehmende haben? Wird es weniger Mitarbeitende brauchen?
Das ist eine interessante Frage. Amazon hat 2012 auf der Retail-Seite angefangen, die ersten Logistik-Roboter einzusetzen. Seitdem sind 750 000 im Einsatz und gleichzeitig hat das Unternehmen über eine Million Menschen weltweit angestellt. Es gibt Schätzungen des WEF, die besagen, dass bis 2030 über 69 Millionen neue Jobs entstehen werden, ausgelöst durch die neuen KI-Technologien. Wichtig ist es, sich entsprechend weiterzubilden, und zwar nicht nur im Technikbereich, das gilt auch für Anwender und Entscheidungsträger. Man geht davon aus, dass KI mittelfristig alle Berufe durchdringen wird. Früher war es entscheidend, mit Social Media umgehen zu können, man kreierte den Beruf des «Social Media Managers»; wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass es einmal einen solchen Beruf gibt? Was ich damit sagen will: Es wird Berufe geben, bei denen man heute noch nicht einmal den Jobtitel artikulieren kann, die aber in fünf Jahren Mainstream sein werden.
Junge Menschen sollten sich also überlegen, ein Studium oder eine Ausbildung in dieser Richtung zu absolvieren?
Ich glaube, dass die künstliche Intelligenz alle Bereiche erfassen wird, man bildet die Leute ja auch nicht mehr «im Internet» aus. Das grundlegende Wissen wird überall Einzug halten. Insbesondere im technologischen Umfeld ist es natürlich wichtig, sich in allen Bereichen betreffend KI weiterzuentwickeln.
Amazon ist ja unter anderem ein Cloud-Anbieter. Die Rolle der Cloud wird ebenfalls wichtiger werden durch KI, ist das richtig?
Wir sehen die Cloud als Voraussetzung dafür, dass man als Organisation oder Unternehmen mit KI starten kann. Dafür sprechen die Vorteile der Cloud – Skalierbarkeit, Computerleistung, Kos- tengünstigkeit, hohe Effizienz. Es gibt grosse Unternehmen in der Schweiz, die bereits in die Cloud migriert sind, zum Beispiel Richemont im Luxusbereich oder Clariant und Syngenta im Bereich Chemie. Clariant zum Beispiel nutzt bereits die Möglichkeiten generativer KI. KI-Modelle brauchen eine gewisse Rechenleistung und sicheren Zugriff auf die Daten. Die Datensicherheit wird uns stets begleiten, sie muss zwingend gewährleistet werden, denn die KI baut auf den Daten auf. Bei AWS haben wir über 300 Security-Services und Tools, die Kunden dabei helfen, ihre Daten zu sichern. Darüber hinaus sind unsere KI-Angebote so designt, dass die Daten nur dem Kunden gehören und nur von ihm benutzt werden können. So ist auch sichergestellt, dass man nicht ein KI-Modell für einen Konkurrenten trainiert.
Trotzdem wird es immer Sicherheitslücken geben. Viele sagen, dass die Sicherheit nie ganz gewährleistet werden kann. Stimmen Sie zu?
Sicherheit ist ein Thema, das sich dauernd weiterentwickeln muss. Es hat oberste Priorität für uns als Cloud-Anbieter. Amazon Web Services investiert enorme Mittel in die Sicherheit, denn damit steht und fällt unsere Reputation. Unsere Cloud Services sind speziell für die Bedürfnisse von Organisationen mit hohen Sicherheitsanforderungen wie Regierungen oder Unternehmen im Finanz- und Gesundheitswesen entwickelt worden. Daher profitieren alle unsere Kunden von den höchsten Sicherheitsstandards. Es gibt auch eine andere Seite: Wir bieten Trainings für unsere Kunden an, wir wollen ihnen dabei helfen, sich abzusichern. Darüber hinaus können Kunden auch auf auf Sicherheit spezialisierte Partner zurückgreifen, um mit ihnen individuelle Sicherheitskonzepte zu erarbeiten. In der Schweiz sind das zum Beispiel Kudelski Security oder Nexthink. So können sie die Möglichkeiten der Cloud sicher nutzen.
Man muss also enorm viel in die Cybersicherheit investieren, personell, finanziell. Dieses Bewusstsein muss vorhanden sein, sowohl den Unternehmen als auch Ihnen als Anbieter dieser Services.
Genau. Das ist ein zentrales Thema. Die Frage ist: Wie gehen denn Unternehmen mit der Sicherheit um, die noch alle Daten bei sich gespeichert haben? Dieses Thema betrifft nicht nur die Anbieter von Cloud Services, sondern generell Verwaltungsräte oder Steuerungsorgane. Relevant ist, dass man versteht, wie Risiken gemanagt werden. Denn die Welt steht nicht still: Die angesprochene Geschwindigkeit betrifft natürlich auch die Sicherheit.
Diese Geschwindigkeit verunsichert viele. Und die Geschwindigkeit nimmt zu. Wie wollen Sie die Menschen mitnehmen, den Menschen die Angst nehmen?
Wir klären auf, wir sind transparent und zeigen Möglichkeiten auf. Unser Ziel ist es, den Unternehmen zu vermitteln, wie sie mithilfe der Technologie besser und effektiver arbeiten können. Das andere, was wir machen: Wir helfen mit der Ausbildung, und zwar auf verschiedenen Ebenen, nicht nur universitär. Wir haben beispielsweise mit ICT Berufsbildung Schweiz zusammengearbeitet, um Cloud-Computing-Module in die Schweizer IT- Berufslehre aufzunehmen.
Sind hierbei auch ethische Fragen ein Thema?
Es liegt in der Natur der Sache, dass man sich fragt, wie man eine Technologie sinnvoll einsetzen kann. Das bedeutet auch, dass wir einen effektiven risikobasierten Regulierungsrahmen und Leitplanken für KI und Machine Learning unterstützen, die die Bürgerrechte schützen und gleichzeitig weitere Innovationen und praktische Anwendungen der Technologie ermöglichen. KI-Richtlinien sollten Innovationen und Entwicklungen fördern und gleichzeitig angemessene Sicherheitsmassnahmen gewährleisten. Darüber hinaus ist es entscheidend, transparent zu sein, zu erklären, wie die Modelle aufgebaut sind, dass die Daten nur für das Unternehmen nutzbar sind, falls dies gewünscht ist, und dass die Datensicherheit gewährleistet ist. Wir wollen dabei helfen, dass jedes Unternehmen zu einem KI-Unternehmen werden kann. Das heisst, wir wollen die KI-Technologie in die Privatwirtschaft und in den öffentlichen Bereich bringen. Schliesslich geht es uns um Qualität, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft.
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