
Tom Schmidt ist Partner beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen EY Schweiz ist im Bereich Financial Services verantwortlich für Cybersecurity. Auf der Cybersecurity Konferenz von digital-liechtenstein.li am 17. November in Vaduz wird er in seinem Referat über die wachsenden Risiken in digitalen Lieferketten sprechen – und darüber, wie Unternehmen ihre Resilienz stärken können.
Tom, wenn du dir die aktuelle Bedrohungslage ansiehst – was ist deiner Meinung nach derzeit die grösste Cybergefahr für Unternehmen allgemein?
Die grösste Gefahr ist wohl diejenige, dass viele die realen und zunehmenden Cybergefahren im Hinblick auf ihr eigenes Unternehmen nach wie vor unterschätzen und sich auf das Szenario «erfolgreicher Angriff auf das eigene Unternehmen» zu wenig gut vorbereiten. Es gibt viele unterschiedliche Cybergefahren, je nach Unternehmen sind sie unterschiedlich ausgeprägt – die allgemeingültig «Grösste Gefahr» gibt es so gesehen nicht. Schwerwiegendere Cyber-Ereignisse sind aber häufig auf Ransomware-Attacken, Lieferketten-Attacken, E-Mail-Fraud und allgemeinen Datendiebstahl zurückzuführen.
Viele Firmen sichern ihre eigene IT gut ab – aber vergessen ihre externen Partner. Warum ist das so gefährlich, gerade im Kontext von Lieferketten?
Lieferketten-Attacken können sehr unterschiedlich und vielfältig sein. Beispielsweise Diebstahl der eigenen Daten bei der Drittpartei oder Beeinträchtigung der eigenen Unternehmensprozesse, welche an eine Drittpartei ausgelagert werden. Desweitern gibt es Beispiele von erfolgreichen Attacken auf Drittparteien, welche mit dem Kunden IT-technisch vernetzt waren und der Angriff sich dann auf den Kunden über diese Verbindung ausweitete. Ich kenne Fälle von Softwarelieferanten, deren Software kompromittiert wurde und diese verseuchte Software kam dann bei ihren Kunden zum Einsatz. Oder Unternehmen verwenden «open source»-Programmcode mit Schwachstellen, welcher für die eigene Software-Entwicklung verwendet wird und so Angriffe begünstigt werden. Die Auflistung an möglichen Attacken könnte noch länger fortgeführt werden. Es gilt somit viele unterschiedliche Aspekte zu berücksichtigen, wenn von Lieferketten-Cyberrisiken die Rede ist.
Was sind die typischen «blinden Flecken» bei der Bewertung von Lieferanten-Risiken? Wo unterschätzen Unternehmen die Gefahr am meisten?
Unternehmen sind häufig gegenüber ihren Drittparteien zu wenig klar in ihrer Erwartungshaltung und ihren Vorgaben im Bereich Cybersecurity und Datensicherheit. Ausserdem fehlt es häufig an der konkreten Überwachung, ob die Drittparteien entsprechende Vorgaben auch einhalten und ob bei den Drittparteien die vorhandenen Massnahmen wirksam sind. Ausserdem sollten die Unternehmen wissen, mit welchen allfälligen Drittparteien ihre eigene Drittpartei zusammenarbeitet (so genannte Viertparteien) und ob diese ebenfalls genügend Sicherheit bieten können.
Gibt es ein konkretes Beispiel aus deiner Praxis, bei dem ein Angriff über die Lieferkette besonders drastische Folgen hatte?
Da gibt es viele Beispiele. Manche der Vorfälle haben auch hohe Wellen geschlagen, da zahlreiche Kunden dieser Drittparteien von diesen Angriffen betroffen waren (mit länderübergreifenden oder sogar globalen Auswirkungen). In zwei der bekannteren Fälle wurde beispielsweise die Software der Software-Anbieter kompromittiert und die verseuchten Software-Updates wurden an die Kunden dieser Software-Anbieter ausgeliefert, mit der Folge, dass alle diese Kunden unmittelbar angreifbar waren und demzufolge auch angegriffen wurden. Ausserdem ist aus den meldungspflichtigen Cybervorfällen ersichtlich, dass bei einer Vielzahl dieser Vorfälle Drittparteien eine Rolle spielten.
Was können Unternehmen realistisch tun, um Cyberrisiken in der Lieferkette zu minimieren – auch wenn die Ressourcen begrenzt sind?
Sie sollten zumindest Kenntnis davon haben, welche Massnahmen die Drittparteien getroffen haben, um sich (und damit auch ihre Kunden) gegen Cyberrisiken zu schützen und ob diese Massnahmen auch wirksam sind. Diese Wirksamkeit kann durch unabhängige Prüfungen oder Assessments bei den Drittparteien geprüft und in entsprechenden Berichten gegenüber den Kunden der Drittparteien ausgewiesen werden, beispielsweise in Form von SOC 2- oder ISAE 3000-Berichten. Solche Aktivitäten können auch mit begrenzten Ressourcen erfolgen.
Viele Einkaufsabteilungen denken primär an Kosten und Lieferzeiten. Wie bringt man Cybersecurity-Anforderungen in diese Gleichung ein, ohne die Geschäftsabläufe zu blockieren?
Voraussetzung ist natürlich, dass Cybersecurity bereits im eigenen Unternehmen einen wichtigen Stellenwert hat und dem Unternehmen selbst klar ist, was mit welchen Massnahmen geschützt werden muss. Das Unternehmen kann diese Anforderungen dann auch auf die Lieferanten und Drittparteien übertragen. Die eigene Erfahrung mit dem Thema hilft, dass dadurch keine Geschäftsabläufe blockiert werden sollten. Unternehmen, welche sich selbst nicht um ihre Cybersicherheit kümmern, werden höchstwahrscheinlich auch keine oder keine sinnvollen Anforderungen an ihre Lieferanten haben und Cybersecurity wird dann eher als lästiges Übel oder als Verhinderung angesehen.
Und zuletzt: Was erwartet die Teilnehmer:innen deines Referats auf der Cybersecurity Konferenz Liechtenstein – warum sollte man das nicht verpassen?
Ich werde einige der in diesem Interview aufgebrachten Themen und Spannungsfelder im Rahmen meines Referats vertiefen und auch praktische Hinweise geben, mit welchen Massnahmen solche Risiken reduziert werden können. Cyberrisiken in der Lieferkette sind für alle Unternehmen relevant – unabhängig der Grösse und Branche – eine aktive Auseinandersetzung damit ist deshalb sehr empfehlenswert. Darüber hinaus freue ich mich natürlich sehr wieder in Liechtenstein zu sein und über die Erfahrungen und Kompetenzen von EY in diesen Bereichen und als Mitglied von digital-liechtenstein sprechen zu dürfen.
Cybersecurity-Konferenz 2025
Am 17. November 2025, veranstaltet digital-liechtenstein.li in Kooperation mit der Universität Liechtenstein die dritte Cybersecurity-Konferenz von digital-liechtenstein.li. Die Konferenz beleuchtet aktuelle Herausforderungen, Trends und Lösungsansätze im Bereich Cybersicherheit – ein Thema, das für den Wirtschaftsstandort Liechtenstein von zentraler Bedeutung ist. Renommierte Expertinnen und Experten teilen praxisnahe Einblicke, diskutieren Strategien zur Risikominimierung und geben Impulse für eine resiliente digitale Zukunft. Infos und Anmeldung